Yuima Nakazato, Harmonize Collection, 2018, Foto: Shoji Fujii
ProgrammZeitung aus dem Januarheft 2020, S. 22
Fashion Victims
Heinz Stahlhut
Die Ausstellung ‹Making Fashion Sense›
thematisiert digitale Mode.
Einstmals war Kleidung vor allem dazu da, die Blösse des menschlichen Körpers zu bedecken und ihn vor Kälte zu schützen. Bald darauf schon diente sie dazu, ihre Trägerinnen und Träger durch kostbare Materialien und edle Verarbeitung von anderen abzuheben, und in der heutigen, überhitzten Ökonomie verleiht allein der saisonale, komplette Austausch der Garderobe noch Status. Bald schon jedoch könnte Kleidung programmierbar werden und eine Verbindung zwischen Körper und datenverarbeitenden Medien herstellen, was bei mancher Funktionskleidung für den Sport schon der Fall ist. Das Haus der elektronischen Künste (HeK) – stets gut dafür, uns daran zu erinnern, wie weit sich die Digitalisierung in unserem Alltag ausgebreitet hat – zeigt in seiner neusten Schau diese aktuellen Tendenzen in Design und Kunst.
Ein Kapitel der Ausstellung widmet sich der Frage, welche Rolle digitale Medien im Entwurfsprozess spielen. Wie in anderen gestalterischen Disziplinen – Architektur und Design – sind sie inzwischen aus der Couture vom Musterentwurf bis zur Visualisierung von Passform und Volumen nicht mehr wegzudenken. Auch für die Inszenierung der Mode auf dem Laufsteg sind Kreative heute längst nicht mehr nur auf die unberechenbaren Modelle angewiesen, sondern können sich Robotern, Hologrammen oder gar Drohnen bedienen.
Kleider als Bildschirm oder Schild.
Die Designerin Iris van Herpen, die u. a. Kostüme für die Shows von Björk und Lady Gaga produziert, schafft ihre blütenähnlichen Kreationen aus unkonventionellen
Materialien, wie Cellulose oder Acrylglas, mit Hilfe von
3-D-Druckern. Schon Anfang unseres Jahrhunderts präsentierte der international renommierte Modeschöpfer Hussein Chalayan mit LED bestückte Kleider, auf deren Oberfläche kurze Filme probiert werden konnten, oder Bekleidung, von der Laserstrahlen ausgingen. Das ‹Standard T› (Shirt) der Basler Designerin Charleen Elberskirch bezieht Form und Erscheinung aus einer Datensammlung über die Herkunft seiner Ausgangsmaterialien, den Herstellungsprozess und die Transportwege. Der kritische Ansatz gegenüber der Ressourcen verschwendenden Modeindustrie wird in diesen Arbeiten ebenso deutlich wie in den Modellen
Adam Harveys. Angesichts der immer engmaschigeren Überwachung des öffentlichen Raums entwickelt der in Berlin lebende Künstler Kleidung, die ihren Träger oder ihre Trägerin gegen den Blick der Kamera abschirmt.
In vielen der in der Ausstellung präsentierten Kreationen wird Mode zur Skulptur, die dem Körper angepasst ist und ihn in seiner Erscheinung verändert, die sich an ihm verwandeln kann oder visuelle oder akustische Signale aussendet. Kleidung wird so zu Erweiterung und Hilfsmittel des menschlichen Körpers, wie es der Medientheoretiker Marshall McLuhan schon Mitte der 1960er-Jahre beschrieben hat. McLuhan hat aber auch erkannt, dass der Körper durch diese Expansionen bestimmte Funktionen einbüsst. Die Schau, kuratiert von Sabine Himmelsbach, dürfte somit auch zeigen, wie dicht uns die digitalen Medien im schönen Schein der Mode schon auf die Pelle gerückt sind oder in naher Zukunft rücken werden.